Gestaltung vs. Nutzbarkeit

Von vielen „Internet-Experten“ werden diese beiden gerne als zwei Pole dargestellt, die unvereinbar sind. Man würde das nie direkt sagen, es hört sich eher so an „Wir bieten kein (aufwendiges) Design, weil der Großteil der Nutzer Informationen sucht und dafür gerne auf Design verzichtet.“ Dazu noch eine vage Andeutung über Untersuchungen, die das beweisen sollen.

Was ist „Design“

Dieser englische Begriff, der nach Langenscheidt „Plan, Entwurf“ bedeutet, wird heute in den meisten Fällen im Sinne von „Styling“ benutzt – also in etwa Aufpeppen von Äußerlichkeiten. Der deutsche Begriff „Gestaltung“ beschreibt die Aufgabe eines Kommunikationsdesigners viel besser im Sinne von „Form geben“.

Dies beinhaltet den bewussten Einsatz von Form, Farbe, Typografie, Bildern etc., um Dingen entsprechend des Zwecks, des Umfelds, der technischen Gegebenheiten und der anvisierten Nutzergruppe eine Gestalt zu geben.

Sinn des Ganzen ist, die Dinge „ansprechend“ zu machen, die zweckgemäße Nutzung zu ermöglichen und zu unterstützen und eine Identifikation der Nutzer mit den Dingen zu fördern.

the hardest part of communication is the last four inches.

Frederick Brooks in Howard Rheingold „Virtuelle Welten“

Was ist „Nutzbarkeit“

Nutzbarkeit oder englisch „Usability“ bezeichnet die Möglichkeit für einen Benutzer, Dinge entsprechend ihres Zwecks anzuwenden. Das am häufigsten zitierte Beispiel ist der Videorecorder, dessen Funktionen den wenigsten Menschen überhaupt bekannt sind, geschweige denn genutzt werden können.

Im Bezug auf Websites beinhaltet Nutzbarkeit die Möglichkeit der Orientierung, Lesbarkeit, Ladezeiten, Textstrukturierung, Suchmöglichkeiten, Druck-Optionen, Kompatibilität, und viele weitere. Der „Usability-Guru“ Jakob Nielsen definiert seinen Anspruch an Nutzbarkeit in einem neueren Artikel noch weitreichender:

It's not enough that users are capable of performing website tasks, though this is surely a necessary requirement. Usage must also be pleasant, productive, and rewarding, and must truly satisfy users’ needs. These are much harder goals.
PR on Websites – Increasing Usability

Was ist denn dann der „Nutzen“?

Der Begriff Nutzbarkeit beinhaltet das Wort „Nutzen“. Dieser kann von Nutzer zu Nutzer und sogar temporär sehr unterschiedlich sein. Individuell sollte man also bei jedem Projekt neu darüber nachdenken, welches der Nutzen für die Benutzer sein könnte und entsprechend die Gestaltung anpassen.

Wo liegt denn eigentlich das Missverständnis?

Mehr als ein aufwendiges Design oder selbst die Qualität und Ausführlichkeit der gebotenen Inhalte zählt für regelmäßige Internetsurfer die Benutzerfreundlichkeit der aufgerufenen Seiten. Das ergab eine Studie der Online-Abteilung des Axel-Springer-Verlags unter 300 so genannten Heavy-Usern.
Unter Benutzerfreundlichkeit verstanden die Befragten dabei eine unkomplizierte Bedienung, ein schnelles Laden der Seiten und ein rasches Erreichen des angestrebten Zieles.
Quelle: buchreport.express, 17.11.1999

In der erwähnten Studie steht das Design an sechster Stelle der Wichtigkeit für die Nutzer mit 41%. An erster Stelle werden Angebote von hoher Qualität genannt. Wie ist sie definiert? Und noch wichtiger: wie stellt ein durchschnittlicher Nutzer Qualität fest? Sehr häufig doch wohl - ohne sich dessen bewusst zu sein – über die äußere Form. Etwas, auf dessen Äußerlichkeit der Absender Wert gelegt hat, ist offensichtlich etwas wert.

Der zweitwichtigste Punkt ist die Lade-Geschwindigkeit. Nach neueren Studien (User Interface Engineering) ist die Einschätzung der Geschwindigkeit aber keinesfalls objektiv – ganz im Gegenteil. Sie ist sehr davon abhängig, ob Nutzer auf der Website erledigen konnten, was sie vorhatten – also: ob sie nutzbar war.

An dritter Stelle liegt die Übersichtlichkeit. Der Zusammenhang zwischen Übersichtlichkeit und Gestaltung ist so offensichtlich, dass wir hier nicht darauf eingehen werden.

Kommen wir zur Gestaltung selbst. Wurde den Teilnehmern der Untersuchung erklärt, wie der Begriff zu verstehen ist? Wie haben die Auftraggeber den Begriff verstanden?

Und die letzte Frage: Was ist aufwendige Gestaltung? Gestaltung, die optimale Nutzbarkeit gewährleisten soll, ist in der Tat aufwendig – in der Erstellung. Das Ergebnis dagegen sollte sich dadurch auszeichnen, dass die Gestaltung eben nicht sichtbar ist, sich nicht in den Vordergrund drängt. Stattdessen unterstützt sie die Benutzer bei der Benutzung – welchen Zweck sie auch immer verfolgen.

Unter Berufung auf Studien wie die oben erwähnte werden jedoch komplett un-gestaltete Websites quasi-wissenschaftlich gerechtfertigt.

Was ist Inhalt?

Anstelle von aufwendiger Gestaltung konzentriert man sich gerne auf den Inhalt – neudeutsch "Content". Das hört sich natürlich nobel und gehaltvoll an. Und in vielen Fällen findet der geschätzte Besucher, was er erwartet: Bleiwüsten, Texte ohne Ende.

Auch an Stellen, an denen eine Grafik ganz hilfreich sein könnte, um Inhalte schneller und besser zu vermitteln. In dem Zusammenhang sollten auch Nutzergruppen mit speziellen Bedürfnissen im Hinblick auf didaktische Aufbereitung nicht vergessen werden.

Das Einbeziehen von guten Informations-Designern in ein Projekt wird dem Missverstehen von „Text“ als „Inhalt“ entgegenwirken. Übrigens brauchen Sie Designer gerade dann, wenn Sie tatsächlich nur Text anbieten wollen. Denn gerade dann müssen Farben, Formen und die Texte in eine gute Form gebracht werden. Da ausser diesen Elementen keine weiteren Gestaltungs-Medien wie Bilder zur Verfügung stehen, hängt alles umso mehr von den vorhandenen ab.

Die Web-Standards bedingen ein angemessenes Design

Sicherlich verhindert die konsequente Anwendung von striktem HTML, CSS und Co. die gröbsten Schnitzer bei der Erstellung von Websites. Blinkende, zappelnde Texte und Bilder, Inkompatibilität mit etwas selteneren Systemen sieht man auf derartig erstellten Sites nur selten.

Aber Richtlinien können 90% der Arbeit beim Design eben nicht abnehmen. Und Richtlinien verhindern nicht, dass Farben, Formen, Schriften, Illustrationen und Fotos nicht stimmig sind (im besten Fall; manchmal erschrecken sie den Betrachter sogar). Jeder Besucher bemerkt das übrigens (unterbewusst), noch bevor er merkt, dass er das Flash-Movie mal wieder nicht stoppen kann...

Design ist nicht Selbstzweck

Für einen guten Designer ist Benutzerfreundlichkeit eine Selbstverständlichkeit. Wir reden hier nicht von Kunst-Spielchen, Homepage-Basteleien oder Styling-Selbstverwirklichung.

Design ist nicht Selbstzweck.